150 Jahre Zuger Gemeinden
(1874–2024)
Vor 150 Jahren wurden im Kanton Zug die Einheitsgemeinden aufgeteilt. Es entstanden Einwohner-, Bürger- und katholische Kirchgemeinden. Die Stimmberechtigten des Kantons hatten 1873 eine entsprechende Verfassungsrevision gutgeheissen. Diese wurde 1874 vollzogen.
Die Aufteilung der Einheitsgemeinde geht im Wesentlichen auf die Einführung der Niederlassungsfreiheit zurück. Die Bundesverfassung des jungen Bundestaats von 1848 führte verschiedene liberale Errungenschaften ein, so die Handels- und Gewerbefreiheit, die Abschaffung der Binnenzölle sowie die Niederlassungsfreiheit für christliche Schweizer Bürger. Die Einschränkungen für Juden blieben dagegen noch bis 1866 in Kraft. Die Niederlassungsfreiheit brachte das Recht mit sich, auf der Kantons- und auf der Bundesebene politisch mitbestimmen zu können. Erst mit der Revision der Bundesverfassung von 1874 erhielten die aus anderen Gemeinden zugezogenen Schweizer Bürger auch auf der Gemeindeebene die politischen Rechte.

Postkarte «Zug & Zugersee», um 1900. (© Archiv Bibliothek Zug)
Die Industrialisierung
Die Industrialisierung führte im Kanton Zug zum Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Kantonen. Namentlich die Textilindustrie mit den Fabrikgründungen am Oberlauf der Lorze führte zu soziodemographischen Veränderungen. So errichtete Fabrikpionier Wolfgang Henggeler mit Zürcher Unterstützung 1834 in Unterägeri, 1846 in Neuägeri und 1852 in Baar mehrere Spinnereien. Die Spinnerei an der Lorze in Baar beschäftigte bis 1866 rund 600 Menschen und galt als damals grösste Baumwollspinnerei in der Schweiz. Im Ostteil des einstigen Bauerndorfs Baar entstand ein neues Quartier mit Arbeiterwohnungen, Industriellenvillen, Gastwirtschaften einer Brauerei (1864) und der ersten reformierten Kirche des Kantons (1867). Der grosse Zustrom an Neuzuzügern führte dazu, dass der politische Prozess, der zur Gemeindeaufteilung führte, in Baar besonders emotional ausgetragen wurde.

Die Spinnerei Unterägeri, die erste Fabrik im Kanton Zug, 1834. (© Archiv Bibliothek Zug)

Die Textilmaschinen in der Spinnerei Unterägeri, 1906. (© Archiv ETH)

Die Spinnerei an der Lorze in Baar, 1889-1892. (© Archiv Brauerei Baar)
Als sich abzuzeichnen begann, dass die Revision der Bundesverfassung von 1874 die vollständigen politischen Rechte für Schweizer Bürger auch auf der Gemeindeebene bringen würde, führte dies im Kanton Zug zu einem grossen Handlungsdruck. Während die reformierte Kirchgemeinde 1863 konstituiert wurde, entschied etwa die Einheitsgemeinde auch über die Belange der katholischen Kirche auf der Gemeindeebene. Dass diese Kompetenz mit der Einführung der vollständigen Niederlassungsfreiheit auch von reformierten Bürgern ausgeübt werden sollte, war mitten im Kulturkampf schlicht undenkbar.
Die Stimmberechtigten des Kantons sprachen sich daher im Dezember 1873 für eine Revision der Kantonsverfassung von 1848 aus. Diese regelte die Gemeindeorganisation neu und schuf drei neue Gemeindearten.
Die Einwohnergemeinde, in welcher alle auf dem Gemeindegebiet wohnhaften niederlassungsberechtigten Schweizer Bürger stimmberechtigt sind, übernahm die Sicherstellung der elementaren Lebensbedürfnisse wie das Schulwesen, das Waisen- und Vormundschaftswesen der Niedergelassenen und das Polizeiwesen.
Die Bürgergemeinde, die sich aus den in der Gemeinde wohnhaften Ortsbürgerinnen und Ortsbürgern zusammensetzt, befasste sich mit der Verwaltung des Bürgerguts, der Regelung der Bürgerrechtsangelegenheiten sowie mit dem Vormundschafts- und Armenwesen der Bürger.
Die katholische Kirchgemeinde, der die am Ort ansässigen Mitglieder der katholischen Kirche angehören, hatte das Kirchengut zu verwalten und Lösungen für kirchliche Fragen wie die Pfarrwahl zu finden.
Mit der Einrichtung der drei Gemeinden waren jedoch nicht alle Probleme gelöst. In einzelnen Gemeinden dauerte es noch mehrere Jahre, bis sich die Gemeinden über die Aufteilung der Vermögenswerte der Einheitsgemeinde einigen konnten. So führten etwa im Brennpunkt Baar der liberal besetzte Einwohnerrat und der katholisch-konservative Bürgerrat eine ideologisch aufgeladene Diskussion, die erst 1879 durch einen Ausscheidungsvertrag beigelegt werden konnte.
Die Korporationen waren übrigens von der Neuorganisation des Zuger Gemeindewesens von 1874 nicht tangiert. Sie waren bereits mit der Kantonsverfassung von 1848 verselbständigt worden.
Text und Bilder von Stefan Doppmann und Kleeb-Lötscher